Donnerstag, 25. Oktober 2012

Ein Abendessen in Familie

Gemeinde Erkivan, Donnerstag, 25. Oktober 2012

von unserem Reiseteilnehmer Thorsten Jabs

Es war für die Gruppe ein langer Tag: Früh aufstehen in Baku, die Reise in den Süden, der Ausflug zu den Schlammvulkanen, das Treffen mit Lokalpolitikern, die Besuche des Naturschutzgebietes Qizilagac und des beliebten Ausflugsziels „Eiserner Baum“.

Um kurz nach halb neun Uhr abends trafen wir dann etwas orientierungslos bei der Familie Mammadov ein. Der Weg dorthin war holprig und dunkel. Umso heller strahlten die Gesichter der freundlichen Familie, den Eltern und den lustigen Kindern, die uns vor ihrem zweistöckigen Haus in Empfang nahm. Später wurde bei näherem Hinsehen deutlich, dass es von außen grau war, die Innenräume dagegen präsentierten sich farbenfroher. 

Vor allem die schon gedeckte Tafel, an der wir alle Platz nahmen und die sich gefühlt unter der Last hätte biegen müssen: Unter anderem standen darauf viele Sorten Getränke, gefüllte Weinblätter, gebratenes Hühnchen, Auberginensauce, Tomaten Gurken, Kräuter und und und...

Nach dem Essen wurden Gastgeschenke inmitten der und auch an die herumtobenden Kinder verteilt. Einige setzten auf die Veranda, um in Ruhe mit den Söhnen sprechen zu können. Eine Erkenntnis: Die wenigsten, die studieren, möchten unbedingt wieder auf dem Land wohnen. Das Familienoberhaupt erzählte seinem Handelsgeschäft, das wir am nächsten Tag auf dem Markt aus nächster Nähe sehen konnten. Dort stand hinter seinem Stand ein kleiner LKW voll mit abgepackten Tüten mit kleinen grünen Gurken.

Doch nach dem Essen und den Gesprächen zeigte sich die Wirkung dieses langen Tages. Ein wenig Müdigkeit machte sich hier und da breit. Gegen halb zwölf Uhr nachts machten wir uns wieder auf den Weg ins Hotel – winkend und lachend verabschiedeten uns unsere Gastgeber bei der Abfahrt.

Zu Gast in der Gemeinde Erkivan


Erkivan, 25. Oktober

Ein Protokoll von unserer Reisteilnehmerin Dr. Claudia Marwede-Dengg

Das Dorf Erkivan liegt im südlichen Teil Aserbaidschans, ca. 80 Kilometer nördlich der Grenze zum Iran, und gehört zum Bezirk (Rayon) Masalli. In der Gemeinde leben 16.000 Menschen, im Bezirk Masalli insgesamt rund 180.000.

Erkivan hat den Status einer „Staatssiedlung“ und verfügt über fünf Schulen, eine große Bibliothek und drei Kulturhäuser, von denen eins gerade renoviert wird. Vor allem der Sport spielt eine große Rolle: Es gibt fünf große Sporthallen, ein Zentralstadion und ein Olympisches Sportzentrum. Besonders stolz ist die Gemeinde auf ihre vier Europameister im Ringen.

Empfang durch Gemeindevetreter in Erkivan (Foto: M. Kluger)
Das Dorf ist an das Gasnetz des Landes angeschlossen – vor zwei Monaten wurden sämtliche Leitungen erneuert –, so dass inzwischen jeder Haushalt gasifiziert ist. Außerdem wurde eine Kläranlage gebaut. Es gibt rund 20 Wasserquellen – allerdings noch keine Kanalisation und jeder im Dorf ist in diesem Punkt für die eigene Versorgung selber verantwortlich. Telefon und Internet sind ebenfalls im Dorf verfügbar.

Der Gemeinderat besteht aus 13 Mitgliedern, in Erkivan sind alle Gemeindevertreter Männer, aber - so wurde uns versichert - in kleineren Kommunen gibt es auch Frauen in diesem Gremium. Der Rat kommt einmal im Monat zur Beratung zusammen, es wird ein Protokoll gefertigt und alle sechs Monate gibt es einen Bericht für die Wähler. Wie in allen Kommunen des Landes ist auch die Exekutive mit einem Vertreter im Gemeinderat vertreten.

Seit den letzten Kommunalwahlen hat das Gremium mehr Kompetenzen: Es kann die Initiative ergreifen und Vorschläge für Verbesserungen machen. Nach den Worten von Bürgermeister Tariyev gilt: „Was wir hier lösen können, lösen wir hier, den Rest leiten wir weiter“.

Die Gemeinde verfügt in bestimmtem Rahmen über ein eigenes Budget, z.B. durch eigene lokale Steuern (Grundsteuer, Eigentumssteuer, Pachtsteuer). Außerdem erhält die Gemeinde von der Exekutive pro Jahr einen Zuschuss in Höhe von 3000,- Manat. (Zum Vergleich: Das reicht gerade für 30 m Straßenpflasterung). Mehrere Gemeindevertreter beklagten im Gespräch, dass sie von den enormen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft nicht profitierten, vor Ort komme kein Geld an. Ein weiteres Problem wurde eher schmunzelnd angesprochen: Die Steuerzahlerkultur sei nicht so stark ausgeprägt.

Die Region Masalli und damit auch Erkivan liegen in einer subtropischen Region mit relativ viel Regen. Wie schon in der Sowjetzeit ist die Gegend einer der größten Obst- und Gemüseproduzenten in Aserbaidschan und im Vergleich zum Landesdurchschnitt dicht besiedelt. Das zeigte sich bei der Privatisierung des Bodens und auch die Zahl der Kinder pro Familie liegt über dem Durchschnitt.

Wie in vielen landwirtschaftlichen Gegenden der Welt ist auch Erkivan mit dem Problem der Landflucht konfrontiert. Rund 20 Prozent der Jugendlichen wandern ab in die Stadt, weil es zu wenige Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gibt. Wer bleibt, muss sich einen zweiten Beruf suchen, denn von der Landwirtschaft allein kann man nicht leben.

Neben der Landwirtschaft gibt es noch eine Stein- und eine Zementfabrik, Bäckereien, eine Geflügelzucht sowie eine Konservenfabrik. In jüngster Zeit gewinnt außerdem der Tourismus an Bedeutung. Die Hotels, die innerhalb der vergangenen Jahre gebaut wurden, sind wegen des guten Klimas zwischen Juni und September komplett ausgebucht, die Touristen kommen vor allem aus der Türkei.

Der Empfang unserer Gruppe durch die Gemeinde stand trotz langer Planung und Absprache nicht selbstverständlich: Der Rat stand unter massivem Druck der Exekutive und sollte das Treffen mit uns absagen. Trotzdem bereiteten die Mitglieder der Gemeinde der Gruppe einen sehr freundlichen Empfang in ihrem Ort.