Dienstag, 23. Oktober 2012

Presse in Aserbaidschan: Gespräch mit Journalisten und Besuch der Ses-Mediengruppe

Baku, 22. und 23. Oktober 2012

von unserer Reiseteilnehmerin Silvia Zöller

Statt wie geplant bei einem Abendessen im Restaurant „Old Baku“ am 22. 10.2012 sowohl mit Vertretern der Oppositions-Zeitung und der regierungsnahen Medien sprechen zu können, erschienen geladene Gäste der regierungsnahen Zeitungen nicht. Lediglich Bahruz Guliyev, Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung „Ses“ begrüßte die Gruppe kurz, um sich dann wegen eines anderen Termins wieder zu verabschieden. Er betonte, dass im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest viele falsche Informationen über Aserbaidschan veröffentlicht worden seien und begrüßte, dass wir uns vor Ort ein objektives Bild von der Lage im Land machen wollen.

Natiq Adilov, Redakteur der oppositionellen Zeitung Azadliq („Freiheit“) berichtete von den Schwierigkeiten der zweitgrößten nicht-regierungsnahen Zeitung mit einer Auflage von 8.000 Stück und einem Online-Portal, die sich hauptsächlich durch die Unterstützung von NGOs, Spenden und dem Verkauf finanziert. Werbekunden gebe es nicht, da Unternehmen Repressalien fürchten, wenn sie in diesem Medium Anzeigen schalten. Zudem hat Azadliq noch 50.000 Manat Schulden wegen Entschädigungszahlungen, die aus verlorenen Gerichtsprozessen resultieren, z.B. wegen angeblicher Verleumdung. Adilov sprach auch von Cyberattacken der Regierung auf die Rechner der Azadliq. Auch die inhaltliche Arbeit sei erschwert, da es große Probleme bei der Beschaffung von Informationen gebe: Wenn man Hinweisen nachgehe, gebe es nur wenige Quellen, deren Namen zum Schutz dieser Personen nicht genannt werden können. Mit Offiziellen zu reden sei „schwieriger als mit Gott zu sprechen“, so wörtlich. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass Reporter und Redakteure oppositioneller Medien von den regierungsnahen Zeitungen abgeworben werden: Dort würde ein sehr hohes Gehalt gezahlt werden: „Uns wird dort Geld für das Schweigen angeboten, nicht für das Schreiben“, so Adilov.

Shahveled Cobanoglu veröffentlicht als freier Journalist auch bei Azadliq. Er hatte zuvor mehrere Zeitungen gegründet, die von der Regierung geschlossen worden seien. Da er als kritische Stimme gilt, hat er sich entschieden, nicht als Redakteur bei der Azadliq zu arbeiten, da er sonst für diese Zeitung ein ähnliches Schicksal befürchtet. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch Nebenjobs, zum Beispiel als Buchlektor. Er betonte, dass die kritische Berichterstattung über Aserbaidschan im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest der Opposition sehr geholfen habe: „Das hat uns Sauerstoff gegeben.“ Cobanoglu sagte, dass die Regierung zu vielen Bereichen falsche Zahlen herausgebe.

Am Folgetag war die Gruppe zu einem Besuch der Mediengruppe „Ses“ eingeladen. Veli Veliyev, Chef der Holdinggruppe, berichtete, dass die Tageszeitung Ses in Aserbaidschan mit einer Auflage von 5.000 Stück erscheint. Zudem gebe es eine russische und englische Ausgabe – ob nur im Online-Auftritt oder auch als gedruckte Ausgabe blieb offen - und den Online-Fernsehsender „Ses-TV“ sowie eine Infoagentur, ein Sportportal und eine Tourismusagentur, die allesamt zu der Ses-Gruppe gehören.
Mitarbeiter der SES-Mediengruppe (Foto: M. Kluger)
Veliyev betonte, dass seit 1998 jegliche staatliche Kontrolle über die Medien abgelegt worden seien. Ein Medienrat sei 2001-2003 zur Entwicklung der Medien eingerichtet worden; 2006/07 sei eine Stiftung zur Entwicklung der Medien gegründet worden, die unter anderem Altschulden in Höhe von rund 600.000 Manat beglichen habe. Diese Stiftung schreibe auch jährlich Wettbewerbe aus, für die die Sieger des besten Projekts zwischen 30.000 und 50.000 Manat erhalten. Dennoch hätten die Medien keinerlei Verpflichtung dem Staat gegenüber. Es gebe auch keinerlei staatlichen Eingriffe, was die Inhalte der 3.500 zugelassenen Zeitungen betrifft. Allerdings gebe es im Land Fälle des „Räuberjournalismus“ und vor einem Missbrauch des Journalismus müsse geschützt werden. Zur Besetzung der etwa 60 Mitarbeiter starken Mediengruppe führte Veliyev aus, dass es sich um ein sehr junges Team handele, das fast zu 50 Prozent aus Frauen bestehe, auch in Führungspositionen. Der Nachwuchs werde aus Absolventen eines Hochschulstudiums Journalistik rekrutiert, wobei es nicht leicht sei, professionelle Journalisten zu finden – der Nachwuchs werde selbst in der Ses-Gruppe ausgebildet und anschließend mit Jahresverträgen angestellt. Zur Berichterstattung über Aserbaidschan im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest bedauerte Veliyev, dass ausländische Journalisten „falsche Informationen aufgrund von Propaganda“ erhalten hätten. Durch die negative Berichterstattung sei man im Land aber nicht beleidigt, vielmehr sei es eine Aufgabe, die Medien mit Informationen zu beliefern. Man wolle eine gute Zusammenarbeit.

Links:

Wirtschaft in Aserbaidschan: Gespräch mit Dr. Gubad Bayramov

Baku, 23. Oktober 2012

Am dritten Tag der Reise war die Gruppe zu Gast im Economic Research Center in Baku und traf dessen Leiter, Dr. Gubad Ibadoglu. Ibadoglu referierte über die Wirtschaftsstruktur in Aserbaidschan (AZ), vor allem des Ölsektors, und erläuterte die Gründe für die, nach seiner Einschätzung, schlechten Zukunftsaussichten.
Dr. Gubad Ibadoglu im Economic Research Center (Foto: bpb)
Ein Protokoll von unserer Reiseteilnehmerin Daniela Schröder
  • „Wegen der Abhängigkeit vom Öl ist die AZ-Wirtschaft wie ein Mensch, der nur auf einem Bein steht. Wir stehen schon seit Jahren auf nur einem Bein und seit zwei, drei Jahren schwanken wir.“
  • 2010 nur 0.1% Wirtschaftswachstum – die niedrigste Rate der vergangenen 15 Jahre. Offizielle Erklärung: Es wurde weniger Öl (und auch Gas) gefördert. Doch: Das Staatsbudget steigt, der Öl-Fonds wächst. So entsteht eine Schere zwischen konstanten Ausgaben und schrumpfenden Einnahmen.
  • Um die steigenden Ausgaben finanzieren zu können, müsste sich AZ andere Industrien aufbauen. Derzeit jedoch keine Wettbewerbssituation (Marktbarrieren für Importe, Kreditzins von 30 Prozent, keine internationalen Banken).
  • Öl-Produktion nahm seit 1991 anhaltend zu, Öl und Ölprodukte machen 93 Prozent des Exports aus. 2011 stammten 35 Prozent des BIP aus dem Öl-Sektor.
  • AZ hat insgesamt bereits 55 Prozent der bisherigen Öl-Erlöse ausgegeben. 2011 wurden
    mehr als 60 Prozent der Öl-Gelder ausgegeben, 2012 dürften es fast 80 Prozent sein.
  • 75 Prozent der Öl-Einnahmen bekommt SOCAR (= die Regierung), 25 Prozent die internationalen Konzerne. Regierung kritisiert BP derzeit wegen fallender Fördermengen. Doch warum sollte BP weniger fördern als möglich? Kritik von Alijew sei daher Quatsch. Problem: Prognosen über Ölvorkommen schwierig.
  • Satte 45 Mrd. US-Dollar flossen bisher in das Aufhübschen von Baku, die Bauarbeiten in der Stadt fressen fast die Hälfte des Staatsbudgets. „Unser Staatsbudget wird ausgeraubt.“
  • Elf Monate des Jahres bewegt sich das Budget im normalen Rahmen, im Dezember schießt es um das Doppelte hoch – die Hälfte der veranschlagten Summe wird tatsächlich ausgegeben, der Rest fließt in private Taschen. Zudem: über das Jahr hinweg wird das Budget sparsam ausgegeben, am Ende wird es aufgeteilt, nichts wird ins kommende Jahr übertragen.
  • Zugang zu makroökonomischen Daten kein Problem, Mikro-Daten jedoch kaum zu bekommen. Bsp.: Steuern gelten als Geschäftsgeheimnis, man weiß daher nicht welches Unternehmen die meisten Steuern zahlt. Gleichzeitig ist die Anonymität von Firmengründern gesetzlich geschützt. Gesetz wurde erlassen als öffentlich wurde, dass die meisten Neugründungen zu Mitgliedern des Alijew-Clans gehören.
  • AZ-Börse spielt keine Rolle. Gründe: a) finanzielle Lage der Firmen soll geheim bleiben. b) für die Entwicklung des Marktes gibt es keinen Freiraum. Auch SOCAR ist nicht börsennotiert.
  • „Die Perspektive sieht eher düster aus.“