Donnerstag, 25. Oktober 2012

Ein Abendessen in Familie

Gemeinde Erkivan, Donnerstag, 25. Oktober 2012

von unserem Reiseteilnehmer Thorsten Jabs

Es war für die Gruppe ein langer Tag: Früh aufstehen in Baku, die Reise in den Süden, der Ausflug zu den Schlammvulkanen, das Treffen mit Lokalpolitikern, die Besuche des Naturschutzgebietes Qizilagac und des beliebten Ausflugsziels „Eiserner Baum“.

Um kurz nach halb neun Uhr abends trafen wir dann etwas orientierungslos bei der Familie Mammadov ein. Der Weg dorthin war holprig und dunkel. Umso heller strahlten die Gesichter der freundlichen Familie, den Eltern und den lustigen Kindern, die uns vor ihrem zweistöckigen Haus in Empfang nahm. Später wurde bei näherem Hinsehen deutlich, dass es von außen grau war, die Innenräume dagegen präsentierten sich farbenfroher. 

Vor allem die schon gedeckte Tafel, an der wir alle Platz nahmen und die sich gefühlt unter der Last hätte biegen müssen: Unter anderem standen darauf viele Sorten Getränke, gefüllte Weinblätter, gebratenes Hühnchen, Auberginensauce, Tomaten Gurken, Kräuter und und und...

Nach dem Essen wurden Gastgeschenke inmitten der und auch an die herumtobenden Kinder verteilt. Einige setzten auf die Veranda, um in Ruhe mit den Söhnen sprechen zu können. Eine Erkenntnis: Die wenigsten, die studieren, möchten unbedingt wieder auf dem Land wohnen. Das Familienoberhaupt erzählte seinem Handelsgeschäft, das wir am nächsten Tag auf dem Markt aus nächster Nähe sehen konnten. Dort stand hinter seinem Stand ein kleiner LKW voll mit abgepackten Tüten mit kleinen grünen Gurken.

Doch nach dem Essen und den Gesprächen zeigte sich die Wirkung dieses langen Tages. Ein wenig Müdigkeit machte sich hier und da breit. Gegen halb zwölf Uhr nachts machten wir uns wieder auf den Weg ins Hotel – winkend und lachend verabschiedeten uns unsere Gastgeber bei der Abfahrt.

Zu Gast in der Gemeinde Erkivan


Erkivan, 25. Oktober

Ein Protokoll von unserer Reisteilnehmerin Dr. Claudia Marwede-Dengg

Das Dorf Erkivan liegt im südlichen Teil Aserbaidschans, ca. 80 Kilometer nördlich der Grenze zum Iran, und gehört zum Bezirk (Rayon) Masalli. In der Gemeinde leben 16.000 Menschen, im Bezirk Masalli insgesamt rund 180.000.

Erkivan hat den Status einer „Staatssiedlung“ und verfügt über fünf Schulen, eine große Bibliothek und drei Kulturhäuser, von denen eins gerade renoviert wird. Vor allem der Sport spielt eine große Rolle: Es gibt fünf große Sporthallen, ein Zentralstadion und ein Olympisches Sportzentrum. Besonders stolz ist die Gemeinde auf ihre vier Europameister im Ringen.

Empfang durch Gemeindevetreter in Erkivan (Foto: M. Kluger)
Das Dorf ist an das Gasnetz des Landes angeschlossen – vor zwei Monaten wurden sämtliche Leitungen erneuert –, so dass inzwischen jeder Haushalt gasifiziert ist. Außerdem wurde eine Kläranlage gebaut. Es gibt rund 20 Wasserquellen – allerdings noch keine Kanalisation und jeder im Dorf ist in diesem Punkt für die eigene Versorgung selber verantwortlich. Telefon und Internet sind ebenfalls im Dorf verfügbar.

Der Gemeinderat besteht aus 13 Mitgliedern, in Erkivan sind alle Gemeindevertreter Männer, aber - so wurde uns versichert - in kleineren Kommunen gibt es auch Frauen in diesem Gremium. Der Rat kommt einmal im Monat zur Beratung zusammen, es wird ein Protokoll gefertigt und alle sechs Monate gibt es einen Bericht für die Wähler. Wie in allen Kommunen des Landes ist auch die Exekutive mit einem Vertreter im Gemeinderat vertreten.

Seit den letzten Kommunalwahlen hat das Gremium mehr Kompetenzen: Es kann die Initiative ergreifen und Vorschläge für Verbesserungen machen. Nach den Worten von Bürgermeister Tariyev gilt: „Was wir hier lösen können, lösen wir hier, den Rest leiten wir weiter“.

Die Gemeinde verfügt in bestimmtem Rahmen über ein eigenes Budget, z.B. durch eigene lokale Steuern (Grundsteuer, Eigentumssteuer, Pachtsteuer). Außerdem erhält die Gemeinde von der Exekutive pro Jahr einen Zuschuss in Höhe von 3000,- Manat. (Zum Vergleich: Das reicht gerade für 30 m Straßenpflasterung). Mehrere Gemeindevertreter beklagten im Gespräch, dass sie von den enormen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft nicht profitierten, vor Ort komme kein Geld an. Ein weiteres Problem wurde eher schmunzelnd angesprochen: Die Steuerzahlerkultur sei nicht so stark ausgeprägt.

Die Region Masalli und damit auch Erkivan liegen in einer subtropischen Region mit relativ viel Regen. Wie schon in der Sowjetzeit ist die Gegend einer der größten Obst- und Gemüseproduzenten in Aserbaidschan und im Vergleich zum Landesdurchschnitt dicht besiedelt. Das zeigte sich bei der Privatisierung des Bodens und auch die Zahl der Kinder pro Familie liegt über dem Durchschnitt.

Wie in vielen landwirtschaftlichen Gegenden der Welt ist auch Erkivan mit dem Problem der Landflucht konfrontiert. Rund 20 Prozent der Jugendlichen wandern ab in die Stadt, weil es zu wenige Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gibt. Wer bleibt, muss sich einen zweiten Beruf suchen, denn von der Landwirtschaft allein kann man nicht leben.

Neben der Landwirtschaft gibt es noch eine Stein- und eine Zementfabrik, Bäckereien, eine Geflügelzucht sowie eine Konservenfabrik. In jüngster Zeit gewinnt außerdem der Tourismus an Bedeutung. Die Hotels, die innerhalb der vergangenen Jahre gebaut wurden, sind wegen des guten Klimas zwischen Juni und September komplett ausgebucht, die Touristen kommen vor allem aus der Türkei.

Der Empfang unserer Gruppe durch die Gemeinde stand trotz langer Planung und Absprache nicht selbstverständlich: Der Rat stand unter massivem Druck der Exekutive und sollte das Treffen mit uns absagen. Trotzdem bereiteten die Mitglieder der Gemeinde der Gruppe einen sehr freundlichen Empfang in ihrem Ort.


 

Dienstag, 23. Oktober 2012

Presse in Aserbaidschan: Gespräch mit Journalisten und Besuch der Ses-Mediengruppe

Baku, 22. und 23. Oktober 2012

von unserer Reiseteilnehmerin Silvia Zöller

Statt wie geplant bei einem Abendessen im Restaurant „Old Baku“ am 22. 10.2012 sowohl mit Vertretern der Oppositions-Zeitung und der regierungsnahen Medien sprechen zu können, erschienen geladene Gäste der regierungsnahen Zeitungen nicht. Lediglich Bahruz Guliyev, Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung „Ses“ begrüßte die Gruppe kurz, um sich dann wegen eines anderen Termins wieder zu verabschieden. Er betonte, dass im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest viele falsche Informationen über Aserbaidschan veröffentlicht worden seien und begrüßte, dass wir uns vor Ort ein objektives Bild von der Lage im Land machen wollen.

Natiq Adilov, Redakteur der oppositionellen Zeitung Azadliq („Freiheit“) berichtete von den Schwierigkeiten der zweitgrößten nicht-regierungsnahen Zeitung mit einer Auflage von 8.000 Stück und einem Online-Portal, die sich hauptsächlich durch die Unterstützung von NGOs, Spenden und dem Verkauf finanziert. Werbekunden gebe es nicht, da Unternehmen Repressalien fürchten, wenn sie in diesem Medium Anzeigen schalten. Zudem hat Azadliq noch 50.000 Manat Schulden wegen Entschädigungszahlungen, die aus verlorenen Gerichtsprozessen resultieren, z.B. wegen angeblicher Verleumdung. Adilov sprach auch von Cyberattacken der Regierung auf die Rechner der Azadliq. Auch die inhaltliche Arbeit sei erschwert, da es große Probleme bei der Beschaffung von Informationen gebe: Wenn man Hinweisen nachgehe, gebe es nur wenige Quellen, deren Namen zum Schutz dieser Personen nicht genannt werden können. Mit Offiziellen zu reden sei „schwieriger als mit Gott zu sprechen“, so wörtlich. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass Reporter und Redakteure oppositioneller Medien von den regierungsnahen Zeitungen abgeworben werden: Dort würde ein sehr hohes Gehalt gezahlt werden: „Uns wird dort Geld für das Schweigen angeboten, nicht für das Schreiben“, so Adilov.

Shahveled Cobanoglu veröffentlicht als freier Journalist auch bei Azadliq. Er hatte zuvor mehrere Zeitungen gegründet, die von der Regierung geschlossen worden seien. Da er als kritische Stimme gilt, hat er sich entschieden, nicht als Redakteur bei der Azadliq zu arbeiten, da er sonst für diese Zeitung ein ähnliches Schicksal befürchtet. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch Nebenjobs, zum Beispiel als Buchlektor. Er betonte, dass die kritische Berichterstattung über Aserbaidschan im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest der Opposition sehr geholfen habe: „Das hat uns Sauerstoff gegeben.“ Cobanoglu sagte, dass die Regierung zu vielen Bereichen falsche Zahlen herausgebe.

Am Folgetag war die Gruppe zu einem Besuch der Mediengruppe „Ses“ eingeladen. Veli Veliyev, Chef der Holdinggruppe, berichtete, dass die Tageszeitung Ses in Aserbaidschan mit einer Auflage von 5.000 Stück erscheint. Zudem gebe es eine russische und englische Ausgabe – ob nur im Online-Auftritt oder auch als gedruckte Ausgabe blieb offen - und den Online-Fernsehsender „Ses-TV“ sowie eine Infoagentur, ein Sportportal und eine Tourismusagentur, die allesamt zu der Ses-Gruppe gehören.
Mitarbeiter der SES-Mediengruppe (Foto: M. Kluger)
Veliyev betonte, dass seit 1998 jegliche staatliche Kontrolle über die Medien abgelegt worden seien. Ein Medienrat sei 2001-2003 zur Entwicklung der Medien eingerichtet worden; 2006/07 sei eine Stiftung zur Entwicklung der Medien gegründet worden, die unter anderem Altschulden in Höhe von rund 600.000 Manat beglichen habe. Diese Stiftung schreibe auch jährlich Wettbewerbe aus, für die die Sieger des besten Projekts zwischen 30.000 und 50.000 Manat erhalten. Dennoch hätten die Medien keinerlei Verpflichtung dem Staat gegenüber. Es gebe auch keinerlei staatlichen Eingriffe, was die Inhalte der 3.500 zugelassenen Zeitungen betrifft. Allerdings gebe es im Land Fälle des „Räuberjournalismus“ und vor einem Missbrauch des Journalismus müsse geschützt werden. Zur Besetzung der etwa 60 Mitarbeiter starken Mediengruppe führte Veliyev aus, dass es sich um ein sehr junges Team handele, das fast zu 50 Prozent aus Frauen bestehe, auch in Führungspositionen. Der Nachwuchs werde aus Absolventen eines Hochschulstudiums Journalistik rekrutiert, wobei es nicht leicht sei, professionelle Journalisten zu finden – der Nachwuchs werde selbst in der Ses-Gruppe ausgebildet und anschließend mit Jahresverträgen angestellt. Zur Berichterstattung über Aserbaidschan im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest bedauerte Veliyev, dass ausländische Journalisten „falsche Informationen aufgrund von Propaganda“ erhalten hätten. Durch die negative Berichterstattung sei man im Land aber nicht beleidigt, vielmehr sei es eine Aufgabe, die Medien mit Informationen zu beliefern. Man wolle eine gute Zusammenarbeit.

Links:

Wirtschaft in Aserbaidschan: Gespräch mit Dr. Gubad Bayramov

Baku, 23. Oktober 2012

Am dritten Tag der Reise war die Gruppe zu Gast im Economic Research Center in Baku und traf dessen Leiter, Dr. Gubad Ibadoglu. Ibadoglu referierte über die Wirtschaftsstruktur in Aserbaidschan (AZ), vor allem des Ölsektors, und erläuterte die Gründe für die, nach seiner Einschätzung, schlechten Zukunftsaussichten.
Dr. Gubad Ibadoglu im Economic Research Center (Foto: bpb)
Ein Protokoll von unserer Reiseteilnehmerin Daniela Schröder
  • „Wegen der Abhängigkeit vom Öl ist die AZ-Wirtschaft wie ein Mensch, der nur auf einem Bein steht. Wir stehen schon seit Jahren auf nur einem Bein und seit zwei, drei Jahren schwanken wir.“
  • 2010 nur 0.1% Wirtschaftswachstum – die niedrigste Rate der vergangenen 15 Jahre. Offizielle Erklärung: Es wurde weniger Öl (und auch Gas) gefördert. Doch: Das Staatsbudget steigt, der Öl-Fonds wächst. So entsteht eine Schere zwischen konstanten Ausgaben und schrumpfenden Einnahmen.
  • Um die steigenden Ausgaben finanzieren zu können, müsste sich AZ andere Industrien aufbauen. Derzeit jedoch keine Wettbewerbssituation (Marktbarrieren für Importe, Kreditzins von 30 Prozent, keine internationalen Banken).
  • Öl-Produktion nahm seit 1991 anhaltend zu, Öl und Ölprodukte machen 93 Prozent des Exports aus. 2011 stammten 35 Prozent des BIP aus dem Öl-Sektor.
  • AZ hat insgesamt bereits 55 Prozent der bisherigen Öl-Erlöse ausgegeben. 2011 wurden
    mehr als 60 Prozent der Öl-Gelder ausgegeben, 2012 dürften es fast 80 Prozent sein.
  • 75 Prozent der Öl-Einnahmen bekommt SOCAR (= die Regierung), 25 Prozent die internationalen Konzerne. Regierung kritisiert BP derzeit wegen fallender Fördermengen. Doch warum sollte BP weniger fördern als möglich? Kritik von Alijew sei daher Quatsch. Problem: Prognosen über Ölvorkommen schwierig.
  • Satte 45 Mrd. US-Dollar flossen bisher in das Aufhübschen von Baku, die Bauarbeiten in der Stadt fressen fast die Hälfte des Staatsbudgets. „Unser Staatsbudget wird ausgeraubt.“
  • Elf Monate des Jahres bewegt sich das Budget im normalen Rahmen, im Dezember schießt es um das Doppelte hoch – die Hälfte der veranschlagten Summe wird tatsächlich ausgegeben, der Rest fließt in private Taschen. Zudem: über das Jahr hinweg wird das Budget sparsam ausgegeben, am Ende wird es aufgeteilt, nichts wird ins kommende Jahr übertragen.
  • Zugang zu makroökonomischen Daten kein Problem, Mikro-Daten jedoch kaum zu bekommen. Bsp.: Steuern gelten als Geschäftsgeheimnis, man weiß daher nicht welches Unternehmen die meisten Steuern zahlt. Gleichzeitig ist die Anonymität von Firmengründern gesetzlich geschützt. Gesetz wurde erlassen als öffentlich wurde, dass die meisten Neugründungen zu Mitgliedern des Alijew-Clans gehören.
  • AZ-Börse spielt keine Rolle. Gründe: a) finanzielle Lage der Firmen soll geheim bleiben. b) für die Entwicklung des Marktes gibt es keinen Freiraum. Auch SOCAR ist nicht börsennotiert.
  • „Die Perspektive sieht eher düster aus.“

Montag, 22. Oktober 2012

Aserbaidschans Außenpolitik

Baku, 22. Oktober 2012

von unserem Reiseteilnehmer Martin Bohne

Zum Gespräch über die Außenpolitik Aserbaidschans trafen wir den unabhängigen Politikexperten Arastun Orujlu, Leiter des East-West Research Centers.

Orujlu war 15 Jahre Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) in Aserbaidschan, er kommt immer noch regelmäßig nach Deutschland. Seit 2004 leitet er das East-West Research Center, dass er als ein Netzwerk beschreibt, dass unabhängig von äußerer Finanzierung ist. Orujlu ist vom Beruf her Arzt, im Berg-Karabach-Krieg war er als Notarzt im Einsatz.
1992 arbeitete Orujlu unter der damaligen demokratischen Regierung im Sicherheitsministerium. Auch später arbeitete mit der Opposition zusammen, ist dann wegen politischer Differenzen aber aus dem Rat der Oppositionsgruppen ausgetreten.  2009 habe das Regime versucht, so Orujlu, ihn und seine Familie durch einen fingierten Autounfall zu ermorden.

Arastun Orulju (Foto: M. Kluger)

Orulju sieht Aserbaidschan als Teil des Westens, allerdings sei es noch ein langer Weg, sich vom russisch-sowjetischen Erbe zu befreien. Alle wichtigen Funktionäre im Machtapparat kämen noch aus dem sowjetischen System, und im Regime gäbe es große Sympathien für Russland. Andererseits werde Russland als Verbündeter von Armenien wahrgenommen.

Das Regime verfolgt offiziell eine ausbalancierte Außenpolitik. Besser für das Land wäre aber eine klare Hinwendung zum Westen. Aserbaidschan mache zwar beim NATO-Partnerschaftsprogramm, der EU-Nachbarschaftspolitik und beim Europarat mit, aber ohne klare Linie. Die Westintegration sei gar nicht ernst gemeint, sie diene nur als Druckmittel gegen Russland.
Dennoch ist Orujlu überzeugt, dass das Land in absehbarer Zeit der NATO und irgendwann auch der EU angehören werde. Aufgrund der zurückgehenden Öleinnahmen werde das Regime bald gezwungen sein, mehr auf die EU zuzugehen. Die Beziehungen zur EU seien jetzt schon hilfreich, weil die das Regime daran hinderten, Verhältnisse wie in Nordkorea zu schaffen.

Die Beziehungen zu Israel seien sehr eng, aber eher auf privater denn auf offizieller Ebene. Man hat 50 Raketenabwehrsysteme gekauft, unterhält aus Angst vor dem Iran aber keine Botschaft in Israel. Baku hat auch große Angst vor einem israelischen Raketenangriff auf den Iran, der eine gewaltige Flüchtlingswelle nach Aserbaidschan auslösen dürfte. Im Iran leben 25-30 Millionen ethnische Aserbaidschaner (fast dreimal so viel wie in Aserbaidschan selbst).

Nach Ansicht von Orujlu hat die Regierung kein Interesse an einer Lösung des Konflikts mit Armenien um Berg-Karabach. Die angespannte Situation und die vielen Flüchtlinge dienten als Vorwand für eine harte Politik nach innen und als Ausrede für wirtschaftliche Schwierigkeiten. Eine Lösung sei daher in weiter Ferne und eigentlich erst möglich, wenn die autoritären Regimes in Aserbaidschan, Armenien und Iran verschwinden.

Bezeichnend seien die sich seit 10 Jahren hinschleppenden Verhandlungen um eine WTO-Mitgliedschaft. Der Alijew-Clan habe in Wirklichkeit kein Interesse an einer Öffnung nach außen, weil dass die sektoralen Monopole stören könnte. Die werden von Ministern kontrolliert, die sich die Gewinne mit der Oligarchie teilen. Korruption sei in Aserbaidschan – mehr noch als in Georgien und Armenien - das dominierende Managementprinzip. Es gibt keine einzige Filiale einer ausländischen Bank. Die heimischen Oligarchen wollen das Land so ungestört wie möglich allein ausbeuten.
Die Strategie des Alijew-Regimes beschränke sich darauf, maximal viel Geld zu stehlen.

Aber Experte Orujlu  ging auch mit der zersplitterten Opposition hat ins Gericht. Der fehle eine Vision. Außerdem hält Orujlu die Ankündigung der Opposition für falsch, nach einem Machtwechsel, das vom jetzigem Regime gestohlene Geld zurückzufordern. Dann werde es nur ins Ausland verschoben oder von den neuen Machthabern ein zweites Mal gestohlen. Orujlu spricht sich statt dessen für eine Legalisierung der Gelder aus. Dabei gehe es um 30 bis 50 Milliarden Euro.

Orujlu hält es für unmöglich, dass die korrupte Elite sich von Wahlen verdrängen lassen würde. Auch eine Volksbewegung à la Arabischer Frühlung hält der Experte für ausgeschlossen.

Freitag, 19. Oktober 2012

Graben nach Grauzonen! - Mit der bpb auf Studienreise in Aserbaidschan

Zweimal pro Jahr geht die bpb auf Studienreisen nach Mittel- und Osteuropa – im Oktober nach Aserbaidschan. Warum es wichtig ist, diesen Ländern offen zu begegnen, und was der Westen vom Osten lernen kann, beschreibt der Journalist Ingo Petz.

Aserbaidschan! Das Land des Feuers, der Teppiche, des Kaviars, das Land mit einer zur Besessenheit neigenden Gastfreundschaft. Das Land des Öls, der Korruption, das Land, das von einem notorisch autokratischen Familienclan regiert wird. Als ich 2004 das erste Mal in die südkaukasische Republik reiste, waberten lediglich diese Klischees durch mein Synapsennetz. Ich aber wollte mich auf dieses unbekannte Land einlassen, wollte es zunächst mit meinen eigenen Augen sehen – und nicht durch den Vorstellungsfilter von angelesenen Informationen. Denn häufig sehen Journalisten nur das, was sie erwarten.

Ich reise seit 1994 durch osteuropäische Länder. Deswegen hatte ich damals schon nicht mehr den Blick des träumerischen Reisenden, sondern desjenigen, der sich mit postsowjetischen Ländern, ihren vertrackten Demokratisierungsversuchen und den komplex- gebrochenen Geschichten, Kulturen und Biografien ihrer Einwohner einigermaßen auskannte. Damals war Aserbaidschan im Westen noch ein Fall für die geheime Riege der Konfliktforscher und Ölproduzenten. Kaum jemand schrieb über Aserbaidschan, auch nicht über Menschenrechtsverletzungen – was es dem Regime bekanntlich leicht machte, die Freiheiten in seinem Land sukzessive abzubauen. Obwohl es ein Mitglied des Europarates ist. Der Eurovision Song Contest (ESC), der in diesem Jahr am Kaspischen Meer stattfand, hat das Land bekannter gemacht, und man kann nur hoffen, dass der Westen nun etwas genauer gen Kaukasus schaut.

An der Promenade in Baku (Foto: bpb)
In meiner Arbeit als Journalist war mir neben Berichten über Krisen, Kriege und Korruption auch wichtig, diese unbekannten Länder Mittel- und Osteuropas, ihre Kulturen und Brüche zu erklären – anhand von Geschichten und Lebenswegen, die den erhabenen Kampf der Menschen im Strudel dieser krisengeschüttelten Regionen zeigen. Ich wollte sie näher an uns heranbringen, denn auch das garantiert, dass uns nicht egal ist, was in Belarus, in der Ukraine oder eben in Aserbaidschan passiert. Mehr als die klassische politische Berichterstattung haben mich immer die Themen interessiert, über die man die kulturhistorischen Komplexitäten und Mentalitäten der postsowjetischen
Länder spannend erzählen kann.

In Belarus war das die kämpferische Rockmusik, die sich seit Mitte der neunziger Jahre Räume als Förderer von Werten der künstlerischen Freiheit und der zivilgesellschaftlichen Initiative schuf. In Aserbaidschan wurde es die Jugendbewegung, die sich von der klassischen, noch von der Sowjetunion geprägten Parteienopposition bewusst abzusetzen begann. „Die“ Opposition gibt es in autokratischen Staaten ohnehin selten. Sie unterscheidet sich diffizil in ihren Strukturen und Zielen. Und als Journalist ist es wichtig, diese Unterschiede deutlich zu machen.
 
In der Altstadt von Baku (Foto: bpb)
Während der massiven Berichterstattung, die die deutschen Medien Aserbaidschan im Zuge des ESC zukommen ließen, kamen in 80 Prozent der Fälle dieselben Oppositionellen zu Wort. Kaum jemand machte sich die Mühe, neue Stimmen zu finden (was häufig sicher an Sprachbarrieren liegt) – oder gar mit den Vertretern der „offiziellen“ Seite zu sprechen. Aber auch das ist wichtig. Denn nur so versteht man, wie ein Regime tickt. Als Journalist sollte man zumindest versuchen, offen und neugierig diesen Ländern zu begegnen, neue Zugänge zu bekannten Themen zu finden – um die Grauzonen besser sichtbar und verständlich zu machen.

Auch wir im sogenannten Westen müssen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der mittlerweile über 21 Jahre her ist, noch viel über Mittel- und Osteuropa lernen. Von den krisenerprobten Osteuropäern lernt man nicht nur Gelassenheit und Lebensgewandheit. Es ist wichtig, die Länder aus ihren eigenen Problemen und Kulturen heraus zu verstehen: das Revival der technokratischen neo-autokratischen Eliten und ihrer neo-sowjetischen Methoden wie in Russland, die Veränderung „oppositioneller“ Aktivität, die Frustrationen über den Westen, über die Verfehlungen von Demokratieversuchen und Privatisierungen. So lässt sich viel besser erläutern, wo Chancen für demokratische und freiheitliche Entwicklungen liegen.
In Aserbaidschan beispielsweise gibt es die Tradition einer libertär-aufklärerischen Bewegung, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte und auf die sich auch die heutige Zivilgesellschaft beruft. Allerdings ist es dem Alijew-Regime in den letzten Jahren gelungen, den Wunsch nach gesellschaftlicher Aktivität bei den Menschen so weit einzudämmen, dass der kleine Kreis der Aktiven sehr klein und isoliert bleibt. In der Provinz ist man als „Oppositioneller“ nahezu auf sich allein gestellt.

Wer sich so lange mit autokratischen Staaten beschäftigt, lernt, dass Demokratie alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Man lernt es zu schätzen, welche Freiheiten man genießt und unter welchen Widrigkeiten Oppositionelle in Belarus oder Russland für demokratische Werte kämpfen.
Meine Arbeit in Belarus brachte mich so auch dazu, mich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Schließlich lebe ich als Journalist von den Freiheiten einer demokratischen Verfassung, und ich wünsche mir, dass meine Kollegen in Belarus oder Aserbaidschan ebenfalls unter freiheitlichen Bedingungen arbeiten könnten. In Belarus, wo die Demokratieförderungsarbeit durch Stiftungen im Land kaum noch möglich ist, ist es wichtig, dass sich auch Enthusiasten und Privatpersonen engagieren. Sie verfügen meistens nicht über die großen finanziellen Mittel, aber sie haben etwas anderes, das unbezahlbar ist beim Brückenbau zwischen Ländern und Kulturen: ein leidenschaftliches Herz, das nicht Gefahr läuft, die Flinte ins Korn zu werfen – wenn sich demokratische Entwicklungen in Osteuropa nicht von heute auf morgen einstellen.

Ingo Petz ist freier Journalist und Buchautor. Als Journalist schreibt er vor allem über Weißrussland. In diesem Jahr arbeitete er im Zuge des Eurovision Song Contest in Baku für Reporter ohne Grenzen. Vor der Studienreise nach Aserbaidschan traf er die bpb-Reisegruppe zum Gespräch im Rahmen des Vorbereitungsseminars. 

Dieser Artikel ist im aktuellen bpb-magazin erschienen www.bpb.de/magazin