Freitag, 6. Mai 2011

Tabgha, Genezareth, Golanhöhen - 06. Mai

Heute fahren wir nach Jerusalem – die letzte Station unserer Reise.
Am Morgen treffen wir Henry Stern, Jahrgang 1925, einer der Gründer des Kibbutz Lavi. Stolz führt er die Gruppe durch seinen Kibbutz. Der 1949 auf einem Hügel von Untergaliläa durch 50 Mitglieder der orthodox-jüdischen Pionierbewegung Bachad-Bnei Akiva gegründete Kibbutz gehört zu den reichsten in Israel. Wenn man sich heute seine schönen Einrichtungen und grünen Wiesen anschaut, ist es schwer zu glauben, in welch spartanischen Verhältnissen am Anfang die ersten Kibbutzniks lebten. Im Laufe der Jahre hat sich das geändert. Seinen heutigen Wohlstand verdankt Lavi der traditionellen Landwirtschaft, der Vieh- und Geflügelzüchtung sowie dem Tourismus und einer Fabrik, die Möbel für Synagogen weltweit baut und exportiert. 

Henry Stern

Lavi ist einer von 16 religiösen Kibbutzim. Eine Seltenheit unter den ca. 260 Gemeinschaftssiedlungen in Israel. Das Prinzip dieser Gemeinschaften ist einfach: jedes Mitglied gibt von sich alles, was er kann und bekommt alles, was er braucht. Alle 650 Mitglieder des Kibbutz sind religiös. Da wir am Donnerstag, dem Vorabend des Schabbats/Sabbats eintreffen, sehen wir, wie viele orthodoxe Juden in das 4-Sterne-Kibbutzhotel strömen. Sie kommen hierher, um in der Natur mit ihren Familien das Wochenende zu verbringen, wobei sie sicher sein können, dass alle religiösen Vorschriften eingehalten werden.

Hügel von Galiläa, Blick vom Kibbutz Lavi

Auf unserer Reise über jüdische Erinnerungskultur in der Gegenwart, setzen wir uns ebenso mit den Orten der Wiege des Christentums auseinander. Nach der Abfahrt aus dem Kibbutz begeben wir uns zu dem 16 Kilometer entfernten See Genezareth, wo sich Jesus Christus drei Jahre lang aufgehalten haben soll. In Capernaum hielt er seine erste Predigt, hier bewirkte er laut Erzählungen die meisten seiner Wunder. Unterwegs besuchen wir einen solchen Ort – Tabgha, wo sich die Brotvermehrungskirche befindet.

Die Brotvermehrungskirche in Tabgha

Und schon geht es weiter am See Genezareth entlang Richtung Jordantal. Auf der linken Seite ziehen sich die Golanhöhen entlang, auf der rechten sehen wir jüdische Kibbutzim mit Plantagen von Datteln, Bananen, Granatäpfeln und anderen tropischen Früchten. Wir fahren an dem ältesten Kibbutz Israels, Deganya, vorbei, der schon 1909 gegründet wurde.
Vor 1967 gehörten die Golanhöhen zu Syrien und wurden in dem Sechs-Tage-Krieg von den Israelis erobert. Erst wenn man sich die Nähe des Golan-Plateaus zu den direkt an seinen Füßen liegenden Siedlungen anschaut, wird deutlich, welche strategische Bedeutung die Region hat. In dieser Region gehört die Macht denen, die das Wasser kontrollieren.Wenn man bedenkt, dass sich im Norden des Golans auch drei Quellen befinden, die in den Fluss Jordan übergehen, versteht man es.

Die Golanhöhen

Den Fluss Jordan bekommen wir nur flüchtig zu Gesicht. Ohne Hindernisse und ohne jede Kontrolle überschreiten wir die „Grenze“ zur West Bank und fahren weiter die jordanische Grenze entlang. Seit dem 1994 mit Jordanien unterschriebenen Friedensvertrag ist sie die ruhigste Grenze Israels und nur mit einem niedrigen Stacheldrahtzaun markiert. Auf der rechten Seite fahren wir an Jericho vorbei, die älteste Stadt der Welt, die 13.000 Jahre zählt. Jetzt befinden wir uns an der alten Pilgerstrasse, die Jesus von Jericho nach Jerusalem nahm. Wieder kommt ein Checkpoint und schon nähern wir uns dem Toten Meer – dem niedrigsten Punkt der Welt. Zum Bedauern Vieler biegen wir ab und begeben uns direkt nach Jerusalem, wo Hanni, unsere Reiseleiterin, noch viel mit uns vor hat. Auf dem Weg sehen wir Beduinendörfer, die aus sehr einfachen Behausungen mit Zeltplanen und Wellblech bestehen.

Blick vom Ölberg

Dann sind wir schon in der Heiligen Stadt und vom Ölberg bekommen wir den ersten Panoramablick auf Jerusalem mit dem Tempelberg und der goldenen Kuppel des Felsendoms in der Mitte zu sehen. Atemberaubend. Dann geht es los in die Altstadt. Hier spricht jeder Stein Geschichte. Zunächst halten wir eine Weile an der Klagemauer. Man sieht hier viele ultraorthodoxe Juden, die noch vor dem Schabbatanfang an der Mauer beten. Natürlich beten Männer und Frauen separat. 

Betende an der Klagemauer

Hanni führt uns entlang der Stationen der Via Dolorosa, dem letzten Weg Christi, bis zur Grabeskirche, wo er gekreuzigt und begraben sein soll. Hier wimmelt es nur so von christlichen Pilgern aus allen möglichen Nationen und Orientierungen. Dann laufen wir durch die schmalen bedachten Gassen des arabischen Basars, den suk, und weiter bis zum Jaffa-Tor, wo der Bus schon wartet, um uns ins Hotel zu bringen.

Die Tage hier sind so spannend, dass ich erst jetzt merke, dass ich noch das Wetter hier mit keinem Wort erwähnt habe. Also, es ist in Ordnung, aber kühler als in Tel Aviv.

Jerusalems Altstadt

Fotos: Anna Maria Adamczyk, Katarzyna Weintraub