Montag, 2. Mai 2011

Tel Aviv, Jaffa, Netanya (1.- 2. Mai)

Tel Aviv

1. Mai. Und Sonntag noch dazu. Doch in Tel Aviv ein ganz normaler Arbeitstag. Das erkennt man vor allem am Straßenverkehr. Autofahrer hupen, schnauzen sich an… Eine typische Mittelmeermetropole. Wenn man einen Tel-Aviver nach dem zentralen Merkmal seiner Stadt fragt, dann lautet die Antwort: Stau. Eine Plage, von der auch wir nicht verschont bleiben.

Stau in Tel Aviv
Als 1921 Meir Dizengoff zum ersten Bürgermeister Tel Avivs ernannt wurde, sagte er: "Ihr werdet sehen: eines Tages wird unsere Stadt zwanzigtausend Einwohner haben!" Heute zählt die auf den Sanddünen in der Nähe vom historischen Jaffa gebaute Stadt insgesamt fast zwei Millionen Einwohner. Es ist eine junge, dynamische Metropole, in der Europa auf Orient und Geschichte auf Zukunft prallt.

Tel Aviv – der Hügel des Frühlings – erweist sich vom ersten Moment an als eine faszinierende und fesselnde Großstadt. Im Bus fahren wir durch die historischen Straßen und Hanni, unsere Reiseführerin, erzählt uns, wie an der Wende zum 20. Jahrhundert, als immer mehr Einwanderer aus Europa nach Palästina strömten, klar wurde, dass die arabische Hafenstadt Jaffa als Einsiedlungsort ausgedient hatte. Zu klein und „zu schäbig“ war sie für die Neuankömmlige aus Europa. Man brauchte eine neue Stadt. Diese wurde von 66 Familien gegründet, die anfingen, ihre Häuser außerhalb Jaffas auf den Dünen zu bauen. Damals entstand der Boulevard Rothschild, die erste Straße der Stadt. Wir fahren die Straße Ben Jehuda entlang, die hauptsächlich von deutschen Emigranten - den Jekkes - bewohnt war, dann geht es auf die Dizengoff Straße.

Die Geschichte der Stadt und seiner Einwohner ist am besten in ihrer Architektur erkennbar. Der koloniale und mauretanische Stil sind genauso präsent, wie der des Eklektizismus und des Bauhauses der 30er Jahre. Die für Tel Aviv typischen Säulenhäuser in Bauhaus-Manier waren dagegen eine schnelle und billige Lösung, als sich nach dem Krieg der Zustrom der Flüchtlinge aus Europa verfünffachte.

Alt neben neu
Während die riesigen Hotels entlang der Strandpromenade als Zeugnisse des wirtschaftlichen Wohlstandes der 70er Jahre in den Himmel ragen, fielen viele historische Baudenkmäler den rücksichtslosen Regeln des Immobilien- und Baumarktes zum Opfer. Erst in den letzten Jahren bemüht man sich um den Erhalt der historisch wertvollen architektonischen Substanz. Überall wird gebaut, renoviert, saniert. In einem neugebauten Haus, noch ohne Fenster, erkenne ich gepanzerte Wände: das werden die Schutzräume sein, die sich in jeder Wohnung befinden. Ein trauriger Standard in allen Neubauten…

Immerhin sind in der Stadt über viertausend Bauhaus-Gebäude erhalten geblieben, die von Architekten wie Arieh Sharon, Dov Carmi, Zeev Rechter, Pinchas Hueth, Josef Neufeld, Genia Averbuch, Richard Kauffmann und Erich Mendelsohn entworfen wurden und seit 2004 Weltkulturerbe der UNESCO sind.

Jizhak-Rabin-Denkmal
Wie japanische Touristen erkunden und fotografieren wir die Stadt durch die Fenster unseres Busses. Doch vor dem Rathaus steigen wir aus, um uns das Jizhak-Rabin-Denkmal anzuschauen. Dort wird die Szene des Attentats vom 4. November 1995 anschaulich präsentiert. Auf dem Rathausplatz steht eine riesige umgekehrt aufgestellte Eisenpyramide – das Schoah-Denkmal.

Auf dem Weg weiter in Richtung Jaffa besuchen wir noch das Shalom-Center, ein riesiges Gebäude, wo sich auch eine Ausstellung zur Geschichte Tel Avivs befindet. Die Ausstellung, die nicht für Touristen konzipiert wurde, ist nur in Hebräisch beschrieben. Trotzdem genießen wie die gut gemachte Exposition. Im Erdgeschoss befindet sich ein riesiges Wandmosaik von Nahum Gutman zur Geschichte der Stadt.

Jaffa
Straßenmusiker in Jaffa
In Jaffa haben wir die Gelegenheit, ein erstes „Bad in der Menge“ zu nehmen. Eine Kollegin verletzt sich dabei am Fuß, so dass sie mit einer Ambulanz ins Krankenhaus gebracht werden muss - es geht ihr schon wieder besser! Einige von uns setzen sich vor ein Caféhaus und beobachten die Menschen. Vorbei strömt eine bunte Mischung aller Schattierungen: schwarz gekleidete arabische Frauen, zwei junge Chassidim - utltraorthodoxe Juden, im Gespräch vertieft, Paare in Hippie-Stil mit kleinen Kindern. Plötzlich taucht eine große Gruppe von dunkelhäutigen, weißgekleideten und meist älteren Frauen und Männern auf: christliche Pilger aus Äthiopien. Ein alter Jude an der Ecke steht vor seinem Trödel-Laden und lockt Kunden in sein Geschäft… Eine ganz andere Welt, als die Weltmetropole da unten!

Äthiopische Pilger in Jaffa
Über viertausend Jahre alt ist Jaffa, die antike, auf einem Hügel gelegene arabische Hafenstadt. Am Via Maris (der Meeresweg, der von Ägypten über Israel nach Mesopotamien führte) gelegen, hatte sie immer eine große strategische und wirtschaftliche Bedeutung. Kein Wunder, dass sich hier die Eroberer die Klinke in die Hand gaben: Ägypter, Phönizier, Griechen, Römer, Kreuzritter, Türken – alle waren hier. Erst als die Engländer in Haifa einen modernen Hafen ausbauten, verlor die Stadt ihre Bedeutung.

Heute ist die immer noch zum großen Teil von Arabern bewohnte Stadt Jaffa eine der größten Touristenattraktionen Tel Avivs. Hier leben Araber und Juden miteinander. Hier befindet sich auch das jüdisch-arabische Theater. In der Altstadt ist eine Künstlerkolonie mit unzähligen kleinen Kunstgalerien heimisch geworden. Wir laufen in Richtung Hafen durch schmale Gassen, die von ihrem orientalischen Charme nichts verloren haben.


Künstlerkolonie
Netanya

Am Nachmittag und mit Verspätung (wieder ein Stau!) kommen wir endlich in Netanya, einer Stadt nördlich von Tel Aviv, bei Anita Haviv an. Anita, eine gebürtige Wienerin, die 1979 nach Israel übersiedelte, ist Gründerin und Leiterin der unabhängigen Agentur „Israel Encounter Programs“, die auf Israel-Bildungsreisen und -Seminare spezialisiert ist. Bei ihr zu Hause wartet auf uns schon ein Imbiss. Ich muss zugeben, dass dieser Besuch für mich – neben dem jungen Chassiden, der in Jaffa auf der Mauer sitzend auf der Flöte spielte – für mich persönlich der bewegendste Eindruck des Tages war. Denn wie oft hat man schon auf einer Gruppenreise die Gelegenheit, einen Blick in ein Privathaus der Einheimischen zu werfen? Zu sehen, wie sie wohnen? In ihrem Garten unter dem Baum zu sitzen und zu plaudern, zu essen und zu trinken? Eine wunderbare Idee! Danke, Anita! 

Im Garten von Anita Haviv