Freitag, 3. Juni 2011

Jerusalem, Flughafen Tel Aviv – 10. und 11.05.

Am vorletzten Tag unserer Reise treffen wir die Jeckes – so werden hier halb ironisch die Einwanderer aus dem deutschsprachigen Raum bezeichnet. Angeblich weil sie stets auf Korrektheit achteten und ihre Jacken nicht ablegten. Trotzdem wurden sie auch immer als Crème de la Crème der aus Europa stammenden Ashkenasim betrachtet. Avital Ben Chorin, Ester Golan und David Rubinger, alle gut über 80 Jahre alt, kommen zu uns ins Hotel, um sich beim Frühstücksbüffet ordentlich ausfragen zu lassen. Und wir enttäuschen sie nicht. Anfangs noch brav in kleinere Gruppen aufgeteilt, sitzen wir an unseren Tischen, nach einer Weile aber setzen wir uns zu den anderen, um weitere Geschichten zu hören. 

Beim Frühstück mit den "Jeckes"

Eine Gemeinsamkeit unserer drei Gäste ist, dass sie als ganz junge Menschen, noch vor dem Krieg ohne ihre Angehörigen nach Palästina kamen. Und obwohl sie alle drei ihre Familien im Holocaust verloren haben, blieben sie selbst vor den Schrecken der Shoah verschont. Ihre Jugend wurde vor allem durch den Unabhängigkeitskrieg 1948, der Entstehung des Staates Israel und dessen Etablierung geprägt. Es ist also kein Zufall, dass wir sie gerade heute, am Unabhängigkeitstag, treffen.

David Rubinger mit seiner Leica

Ich setze mich zu David Rubinger. Der 1924 in Wien geborene berühmte Fotojournalist erzählt uns von seiner Kindheit in Wien, wo er schon in der Schule mit dem Antisemitismus in Berührung kam. „Es hat nicht mit Hitler angefangen, Österreich war schon viel früher schrecklich antisemitisch“, sagt er. Nachdem er mit vierzehn ein Schulverbot verhängt bekam, engagierte er sich für die zionistische Jugendbewegung. 1939, mit fünfzehn, kommt er gerade rechtzeitig nach Palästina, wo er zunächst in einem Kibbuz lebt. Ab 1942 kämpft er bei der britischen Armee, unter anderem in der Jüdischen Brigade. Kurz nach dem Krieg kommt er nach Deutschland, in Gelsenkirchen lernt er seine zukünftige Frau kennen. Doch in Europa will er nicht bleiben. „Ich will mit dem Holocaust nicht leben. Nicht meine cup of tea!” - sagte er zu ihr.
In den darauf folgenden 60 Jahren arbeitet er als freiberuflicher Fotojournalist und Mitarbeiter der TIME in Israel. Sein berühmtestes Foto, das auch auf dem Umschlag seines Buches Israel durch mein Objektiv. Sechzig Jahre als Fotojournalist zu sehen ist, zeigt israelische Fallschirmjäger, die vor der 1967 wiedereroberten Klagemauer stehen. 

David Rubingers Buch
 
Was für eine Kamera benutzen Sie?“, will jemand wissen. „Nur Leica, ich arbeite ausschließlich mit Leica!“ – lacht er. Natürlich können wir uns eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen und wir bitten ihn um ein Foto. „Klar, mache ich!“ Und noch an demselben Tag bekomme ich es von ihm per E-mail mit besten Grüßen zugeschickt! Ein Jecke bleibt eben ein Jecke – heißt es in einem alten Witz, in dem nach dem Unterschied zwischen einem Jecke und einer Jungfrau gefragt wird.

Leica-Gruppenfoto beim Büffet

Um den Abend frei zu schaufeln, wird die geplante Auswertung der Reise mit dem Bilanzgespräch mit Anita Haviv zusammengelegt. Am Anfang geht es deswegen ein bisschen chaotisch zu, da viele von uns ihre Schlussfolgerungen mit einer gleichzeitigen Bewertung vermischen, was ich nicht unbedingt schlecht fand.

Bei einem Versuch, Essentielles und Synthetisches für das Landbild und seine Erinnerungskultur(en) zu formulieren, scheinen mir zwei Aspekte besonderes zutreffend gewesen zu sein: Zum Ersten (worauf uns schon unsere Referenten aufmerksam gemacht haben), dass die Israelis mit ihrer ausgeprägten nationalen und ethnischen Staatsidentität noch im 19 Jahrhundert stecken, während Deutschland schon postnationale Tendenzen zeigt. Wer also das Land mit unseren europäischen Maßstäben und aus europäischer Perspektive betrachtet, wird immer wieder darüber stolpern, weshalb eine Analyse, die nicht aus dem Kontext heraus gemacht wird, zu scheitern droht.
Zum Zweiten gibt es in Israel zwei Paradigmen, wenn es um das Gedenken geht: jenes der Opfer und jenes der Helden. Daraus ergeben sich auch die Differenzen zwischen den vielen unterschiedlichen Erinnerungsgruppen, die in einer so durchritualisierten Gesellschaft, wie der israelischen besonders gravierend scheinen: „Bis zum Rande des Unerträglichen“, wie es Anita Haviv formulierte.

Was wir von der Reise mit nach Hause nehmen? Persönlich und beruflich? Was waren die Highlights? Was kam zu kurz? So lauteten die Fragen bei der Auswertung.

Sehr viele Fragen in der Auswertungsrunde

Aus einem so spannenden Land wie Israel kehrt wohl niemand mit leeren Händen nach Hause zurück. Als Highlights wurden vor allem die Fahrt entlang der Grünen Linie, der Ramallahbesuch und der Vortrag von Gil Yaron genannt. Aber auch andere Programmpunkte, wie die Besuche in Lochamei Hagetaot und in Yad Vashem, die Vorträge von Nathan Shnaider, das Treffen mit Bob Lang in der Siedlung Efrat oder das Gespräch mit Etgar Keret und Lizzi Doron fanden ihre Befürworter. Bei den Anregungen für die Zukunft werden Genderfragen, Armut, Generationskonflikte, sowie der Einfluss russischer Emigranten genannt. Wünschenswert wären auch Gelegenheiten zu direkten Gesprächen mit Militärs, Politikern oder Lehrern.

Verstärkte Kontrollen in Jerusalems Innenstadt

Am frühen Nachmittag sind die Straßen im Zentrum Jerusalems wie leergefegt: entweder schlafen die Einwohner die durchgefeierte Nacht aus, oder sie sind zu einem am Unabhängigkeitstag traditionellen Picknick aufgebrochen. Nur in der Altstadt wimmelt es wie immer von Touristen und Pilgern. Die sichtlich verstärkten Sicherheitsstreifen deuten darauf hin, dass es ein besonderer Tag ist. Auf der Suche nach einem hot-spot landen wir schließlich auf der schönen Terrasse von Y.M.C.A. mit dem Blick auf das berühmte King David Hotel. Bei gutem Nanatee genießen wir diesen Moment der Ruhe nach der Hektik der letzten Tage…

Auf der Terrasse des Y.M.C.A. Hotels

Am nächsten Tag ganz früh noch ein kurzer Besuch auf dem Tempelberg, dann ein bisschen Entspannung auf der Hotelterrasse und schließlich ist es Zeit zum Flughafen auszubrechen. Noch der letzte Blick durchs Busfenster auf das sich entfernende Jerusalem und das Gefühl der Wehmut.
Die Zeit war so kurz, es gibt endlos viel, was wir nicht gesehen haben und wir könnten noch so viel mehr erfahren. Hanni bringt uns bis zur Sicherheitskontrolle und wir nehmen Abschied. Tschüss, Hanni, und danke! Auf Wiedersehen! Wir kommen wieder!

Good Bye Jerusalem