Mittwoch, 4. Mai 2011

Arabisch-Israelische Betrachtungen. Givat Haviva und Bartaa

Wir verlassen Tel Aviv und begeben uns nach Givat Haviva. Es ist eine Bildungs- und Begegnungstätte, die sich für jüdisch-arabische Verständigung einsetzt. Sie wurde 1949 gegründet und hat ihren Sitz in einem südlich von Haifa gelegenen Areal der (links-sozialistischen)  Kibbutz - Artzi Bewegung. Hier beginnen wir, uns eingehender mit jüdisch-arabischen Problemen zu beschäftigen. 

jüdisch-arabisches Zentrum für Frieden

An der Einfahrt erwartet uns schon an einer breiten Wiese Lydia Aisenberg. Sie wurde 1946 in Wales geboren und wanderte 1969 nach Israel ein, wo sie seitdem als freie Journalistin und Mitarbeiterin von Givat Haviva tätig ist. 

Ayelet Roth und Samer Atmane

Nachdem sie uns die Aktivitäten der Begegnungsstätte erklärt hat, stellt sie uns den Direktor für Entwicklung des „Abraham Fund“, Mohammad Darawsche, vor. Er berichtet uns aus arabisch-israelischer Sicht über Geschichte und Probleme, die seit der Gründung des israelischen Staates im Mai 1948 bis heute das Zusammenleben der beiden Bevölkerungsgruppen beeinflussen.

Auf einer Zeitskala markiert er die besonderen Ereignisse dieser Geschichte. Als eine der größten Tragödien sieht er die Flucht und Vertreibung der Palästinenser und den damit verbundenen Verlust der Eliten. Erst nachdem die Araber, die in Israel blieben (und auch die israelische Staatsbürgerschaft erhielten), mit den Jahren den Status quo akzeptierten, und die Israelis die palästinensische Bevölkerungsgruppe 1966 unter zivile Verwaltung stellten, entspannte sich die Lage. Die Araber fingen an, sich zu „israelisieren“, ihre Eliten und eine Mittelschicht aufzubauen. Das bedeutete aber nicht, dass sie ihre Hoffnung auf das Rückkehrrecht und auf die Rückgabe des von den Israelis annektierten Landbesitzes aufgegeben haben.

Checkpoints wie diesen gibt es überall im Land

Erst die Osloer Verträge, die 1992 unterschrieben wurden, weckten neue Hoffnung auf eine erfolgreichere Koexistenz. Das Vertrauen in die Politiker wuchs, als Ehud Barack 1999 in der Wahlkampagne versprach, die vier arabischen Parteien in die Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Er hat jedoch sein Versprechen gebrochen, und das Vertrauen ist seitdem wieder gesunken. Die Forderung nach einer Repräsentation in der Knesset erfüllte sich erst 2007, als der erste arabische Minister ins Kabinett aufgenommen wurde. Kurz darauf betonte der israelische Präsident in einer Rede, dass in Israel Araber „institutionell und freiheitsberaubend diskriminiert“ würden. Doch auch dieser Satz trug nicht zu einer Annäherung zwischen den Juden und den israelischen Arabern bei. Nach wie vor leben sie mit dem Rücken zueinander. Auch die getrennten Schulsysteme sind nicht sonderlich hilfreich für die Kommunikation.

Deswegen fand ich die Präsentation des von Givat Haviva geführten Projekts „Face-to-face encounters“ äußerst interessant. Darin handelt es sich um organisierte und fachmännisch geleitete Begegnungen zwischen arabischen und jüdischen Schülern. Nach der Vorbereitung kommen sie nach Givat Haviva zu einem zweitägigen Workshop, der sie füreinander und ihre jeweilige Auffassung der Geschichte sensibilisieren soll. Dadurch entstehen erste Kontakte, die notwendig sind, um einen Dialog aufzunehmen. Ayelet Roth, jüdische Co-Leiterin des Projekts und Samer Atmane, der arabische Koordinator, die uns das Projekt vorgestellt haben, sind sich bewusst, dass man hier keine Wunder erwarten kann. Die wechselseitige Verständigung ist ein mühsamer Prozess, hier wird geholfen, die ersten Schritte in diese Richtung zu machen.

Lydias Karte von der Grünen Linie

Dann wird es spannend. Lydia Aisenberg fährt mit uns an der Grünen Linie entlang. So heißt die Grenzlinie, de jure immer noch Waffenstillstandslinie seit dem israelisch-arabischen Krieg 1948/49, die Israel von den palästinensischen Autonomiegebieten trennt. Die Grüne Linie ist mit dem Auge nicht zu erkennen. Wir verfolgen sie auf einer Karte, die Lydia für uns vorbereitet hat. Auf dieser Karte ist auch eine andere Linie zu sehen, die einigermaßen parallel zu der grünen verläuft. Sie markiert den Weg der Sperranlage. Diese besteht hauptsachlich aus einem Zaun und Stacheldraht, nur zu 20% aus einer Mauer. Sie wurde in der Zeit der Zweiten Intifada von Israel errichtet, als sich der Staat und seine Bewohner zunehmend von palästinensischen Selbstmordattentaten bedroht sahen. Einerseits verständlich. Andererseits aber empörend, denn sie befindet sich an manchen Stellen tief im (theoretisch) palästinensischen Gebiet. Wir fahren nach Bartaa. Es ist ein Dorf, wo wir die ganze Absurdität der Lage vor Augen haben. Bartaa wurde in Folge des 1. israelisch-arabischen Kriegs bis 1967 in einen westlichen israelischen und einen östlichen palästinensischen Bereich geteilt und ist mittlerweile ein "Dorf mit gespaltener Persönlichkeit". Zum Beispiel besitzen mehr als dreihundert Einwohner Ost-Barta’as einen israelischen Pass. Das begehrte Dokument erhielten sie über ihre eingeheirateten Frauen, die West-Barta’aris und damit Israelinnen sind. Die aus diesen Ehen hervorgegangenen Kinder haben wiederum das Recht, eine Schule auf der israelischen Seite zu besuchen.
„Are you confused, seid ihr verwirrt?“, fragt Lydia. „Weil wenn ihr nicht verwirrt seid, dann stimmt etwas nicht“. Wir geben zu, wir sind confused. Sogar very confused…

An der Grenze auf israelischer Seite

Über diese Brücke verläuft die Grüne Linie



Auf der arabischen Seite der Grünen Linie

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