Dienstag, 11. Januar 2011

Tag 3 und 4: Ausweichende Antworten

Auf manche Fragen bekommt man einfach keine Antworten. Vom Gouverneur des Departamentos Chuquisaca, Esteban Urquizu Cuéllar, zum Beispiel. Ihn trafen wir am heutigen vierten Tag in der wunderschönen Stadt Sucre, der offiziellen Hauptstadt Boliviens. Dazu muss ich kurz etwas ausholen: In Bolivien wird derzeit Schritt für Schritt eine auf Traditionen der indigenen Bevölkerung basierende Justiz eingeführt. Ulrich Ladurner hat dazu in der ZEIT bereits einen sehr lesenswerten Artikel geschrieben. Die sogenannte "justicia comunitaria" (so nannte sie unser Gesprächspartner), also die von den Kommunen und Gemeinschaften ausgeübte Justiz soll dabei nicht in direkter Konkurrenz zur bislang zuständigen Justiz stehen - sondern diese ersetzen, wo es möglich ist. Die Regierung hofft, damit schneller, effektiver und somit kostengünstiger urteilen zu können.
Der Grundgedanke ist: Eine Gemeinde nimmt sich Streitigkeiten im Plenum an. So könnte es passieren, dass ein Mann, der etwa einem Bauern in einer Auseinandersetzung den Arm gebrochen hat, so dass dieser seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, dass dieser Täter also zur Strafe solange das Feld des Bauers bestellen muss, bis er wieder gesund ist, mit dem Ziel, dass dem Geschädigten kein weiterer Schaden entsteht.

So könnte es sein. Muss es aber nicht. Denn, und hier komme ich nun zur nicht beantworteten Frage: Die Regierung hat schlichtweg noch keine Grenze festgelegt, bis zu der die Gemeindejustiz das Sagen hat und ab der die regulären Gerichte einen Fall übernehmen. Eine Frage aus unserer Gruppe an den Gouverneur des Departamentos Chuquisaca dazu lautete: Gibt es diese Grenze und wenn ja, wo liegt sie? Die Antwort des Politikers, der der Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo) des Präsidenten Evo Morales angehört: ausweichend. Man befinde sich einem Prozess, "cambio", Wandel sei das Ziel. Erklärtes Ziel dieses Wandels wiederum ist, die Marginalisierung der indigenen Bevölkerung aufzuheben. Eine klare Antwort sieht anders aus.

                                                    Esteban Urquizu Cuéllar

Doch genau dieses Ausweichen war uns schon einmal begegnet, am Tag zuvor, im Tiefland in Santa Cruz. Anders als in Sucre und im Hochland, wo viele MAS-Wählerinnen und Wähler wohnen, ist das Tiefland seit fünf Jahren der Hort der Opposition in Bolivien. Wir haben dennoch auch dort Vertreter der Regierung getroffen, die dort ja in der Opposition ist. Wir fuhren dazu in ein Viertel von Santa Cruz namens "Plan 3000". Der Name geht auf die ursprüngliche Einwohnerzahl bei der Gründung des Viertels im Jahr 1983 zurueck. 3000 Menschen waren es nämlich, die zur Umsiedelung gezwungen wurden, weil der Fluss Piraí über die Ufer trat und ihr gesamtes Hab und Gut fortriss. Also nahmen sich die Leute Land und es entstand ein neuer Teil der Stadt.
Heute leben dort, je nach Quelle, zwischen 350.000 und 500.000 Menschen, die aus ganz Bolivien dorthin ziehen. Es gibt kein fließend Wasser, kein Abwassersystem, die Straßen sind zum Großteil nicht asphaltiert, Gehwege Mangelware, Müll hingegen gibt es reichlich. 81 Prozent der Grundstücke in Plan 3000 sind nicht legal eingeschrieben, auch viele der Geschäfte werden am Finanzamt vorbei geführt. Zur Beschreibung bieten sich die Worte Armen- oder Elendsviertel an, allein: Sie können das Elend nicht wirklich fassen. 60 Prozent der Menschen in Santa Cruz lebten in Armut, sagten alle unsere Gesprächspartner übereinstimmend, zwei Drittel davon wiederum in Elend. Plan 3000 kommt letzterem zumindest sehr nahe.

Dennoch waren fast all unsere Gesprächspartner - Gewerkschaftsführer, MAS-Politiker, Einzelhändler - der Meinung, es gehe aufwärts in der Gegend. Zwar sei die Lage immer noch bitter: Frauen würden nach wie vor nicht gleichbehandelt, Menschen müssten weite Wege auf sich nehmen, um etwa zu Krankenhäusern zu gelanden (dabei stürben sogar nicht wenige), es gebe kein Abwassersystem, mitunter nur geklauten Strom. Aber, und das ist das Band, das die Runde verbindet: Man befinde sich in einem Prozess und wer den nicht verstehe, dem werde man eben ein wenig helfen müssen.






Nach diesem Treffen setzten wir uns in einen Bus und fuhren nicht mehr als 300 Meter damit. Der Grund: Unser nächster Gesprächspartner war zwar bereit, sich mit uns zu treffen. Ursprünglich war er auch in der oben gezeigten Runde eingeplant, schließlich hat er maßgeblich zum Bau von Plan 3000 beigetragen. Dieser Tage scheint man sich aber nicht besonders gut riechen zu können und so mussten wir Nicholas Castellanos einen ehemaligen Bischof aus Nordspanien, später und in einem anderen Haus treffen. Castellanos hat das Hilfswerk "Hombres Nuevos" vor rund 20 Jahren gegründet, um, wie er sagt, nichts für die Armen, aber alles mit den Armen zu machen. Seiner Meinung nach macht die aktuelle Zentralregierung nämlich absolut nichts, um die Situation in Plan 3000 zu verbessern. Evo Morales habe sich in seinem Wahlkampf dort nicht einmal gezeigt, anders als frühere Präsidentschaftskandidaten. Es gebe in dem Viertel daher absolut keinen Wandel, keinen "cambio", den wir wenige Minuten vorher noch recht ausführlich gelobt hörten.

Über diesen Besuch und noch ein wenig mehr von der Reise habe ich in einem Interview mit meiner DRadio Wissen-Kollegin Rebecca Link gesprochen. Nachhören kann man das hier.


Dominik Schottner

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